Sie schrieb Gedichtzeilen wie: Was ist in deiner Seele, / Was ist in meiner Brust, / Daß ich mich dir befehle, / Daß du mich lieben mußt? Sie besaß den Mut, 1933 aus Protest gegen den von den Nationalsozialisten betriebenen Ausschluss von Alfred Döblin als erstes Mitglied aus der Akademie der Künste auszutreten. Sie verbrachte die letzten 12 Jahre ihres Lebens in Jena, wo sich in ihrer Wohnung am Oberen Philosophenweg auch Menschen trafen, die später, am 20. Juli 1944, am missglückten Attentat auf Adolf Hitler beteiligt waren. Nur durch eine Namensverwechslung entging ihr Schwiegersohn danach der Verhaftung. - Obwohl die Jenaer Friedrich-Schiller-Universität ihr 1946 die Ehrendoktorwürde verlieh und die neuen kommunistischen Machthaber sich um sie bemühten, floh sie vor dem neu aufkeimenden Totalitarismus nach Frankfurt am Main, wo ihr Schwiegersohn Franz Böhm Hessens Kultusminister geworden war. Der Reise im ungeheizten Zug über die Sektorengrenze war sie gesundheitlich nicht gewachsen. In einem Gästehaus der Stadt Frankfurt starb sie am 17. November 1947. – Was Wunder, dass ich das Haus besichtigen wollte, das die Stadt Jena nach ihr benannt hat. Und auch kein Wunder, dass ich dort einiges über die Dichterin zu erfahren hoffte. Doch das erwies sich, besonders an einem Wochenende, als gar nicht so einfach.

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Die Räume können für Veranstaltungen gebucht werden. Das Gartenzimmer z.B. wird für kleinere Familienfeiern empfohlen. Für die Öffentlichkeit ist das Haus zwar als Gaststätte zugänglich, jedoch nur von Montag bis Freitag, jeweils zwischen 11 und 15 Uhr. Ein Mittagstisch (z.B. diese Woche Montag Geflügelfrikassee mit Reis, Dienstag Gemüsepfanne mit Kartoffelpüree, Mittwoch Spargel mit Kochschinken und Sauce Hollandaise, Donnerstag Chili con carne mit Paprikareis, Freitag Matjesfilet mit Pellkartoffeln). Ich aber wollte an einem Sonntag da rein. So war es eine glückliche Fügung, dass am 11. Januar „Tango zum Zuhören und Zuschauen“ angeboten wurde.

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Eine Viertelstunde vor Beginn der Veranstaltung standen Villa und ich vor der fest verschlossenen Tür und fragten uns, ob überhaupt etwas stattfinden würde, denn außer uns begehrte niemand Einlass. Die eisige Kälte trieb uns in das nahe CINEMAX. Als wir zurückkehrten, waren wir zumindest nicht mehr ganz allein. Eine kleine alte Dame wartete ebenfalls und schien höchst erfreut über unser Erscheinen. Der Verdacht, der mich beim Anblick des Schaukastens im Garten, denen an den Eingängen von Sozialstationen und kirchlichen Gemeindehäusern deprimierend ähnlich, beschlichen hatte, verstärkte sich. Aber immerhin knackte um Punkt 16 Uhr von innen der Schlüssel im Schloss, und wir wurden eingelassen.

Geführt von einer jungen Dame, der ebenfalls etwas von der Betreuerin eines Gemeindecafés anhaftete, und gefolgt von der kleinen alten Dame, die munter um eine Unterhaltung mit uns bemüht war, erklommen wir nicht etwa das Treppenhaus mit seinen schönen Jugendstilfenstern, sondern drängten uns in einen Fahrstuhl. Senioren will man das Treppensteigen wohl nicht zumuten.

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Von dem Saal heißt es, es handle sich wahrscheinlich um einen ehemaligen Fechtboden mit Empore, und dass er nach historischem Vorbild aufwendig saniert wurde. Umso bedauerlicher, dass der Parkettboden schmierig aussah, was bei der Nutzung durch Burschenschaften (als Fechtboden???) vielleicht nicht der Fall gewesen wäre… aber nee, nee, nee! Villa und ich haben mit Burschenschaften nichts am Hut. Dann doch lieber die kleine alte Dame, auch wenn wir unseren Mangel an Begeisterung, als sie sich zu uns an den Tisch setzen wollte, wohl so deutlich zeigten, dass sie sich an den Nebentisch begab und uns beleidigt den Rücken zuwandte. Die „Gemeindecafébetreuerin“ machte sich hinter dem Tresen zu schaffen, und daneben beschäftigte sich ein junger Mann mit einem Laptop, auf den ich einen Blick warf, als ich ein Foto von der dahinter halb versteckten Büste von Ricarda Huch machte.

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Tango-Titel auf dem Bildschirm. Was hatte ich denn erwartet? Argentinische Streicher? Wir Drei warteten auf die Dinge, die da hoffentlich noch kommen würden. Das Unangenehme daran: Es war eiskalt in diesem Saal. Demonstrativ befühlten wir die Heizkörper unter den Fenstern, die erwartungsgemäß ebenfalls kalt waren. Durch unsere Investigationen aufmerksam geworden, drehte die Bedienung an den Reglern, leider ohne Erfolg. Wir bestellten „Lumumba“. Heiße Schokolade mit einem kräftigen Schuss Weinbrand schien mir das beste Mittel zur Vorbeugung gegen eine drohenden Erkältung und für eine Steigerung des Wohlgefühls zu sein. Von Lumumba hatte die junge Dame noch nie gehört. Ich erklärte es ihr, und Villa war bei der Suche nach der Weinbrandflasche behilflich. Nebenbei erklärten wir, dass wir eigentlich nicht zum Trinken gekommen waren, sondern um das Haus zu besichtigen. Die junge Frau verschwand mit dem Versprechen, uns eine Information über Ricarda Huch zu besorgen.

Fast gleichzeitig mit unserem alkoholhaltigen Heißgetränk traf ein Paar ein, geschätzte um die Vierzig, bestes Tangoalter, und als unter dem Tisch die Winterstiefel gegen Tanzschuhe gewechselt wurden, keimte zumindest in dieser Hinsicht Hoffnung auf, nachdem es sich bei der versprochenen Information um einen Ausdruck der WIKIPEDIA-Seite über Ricarda Huch handelte. Bald gesellte sich ein zweites Paar dazu. Ich vermutete, Mitglieder eines hier übenden Tango-Clubs, die man dazu verdonnert hatte, bei dieser (milde ausgedrückt) doch etwas öden Veranstaltung aufzutreten. Mutig schälte sich die erste der Damen aus der wärmenden Oberbekleidung. Zum Vorschein kam ein wenigstens nicht ganz für den Zweck unpassendes Kleid, geziert von einem Schultertuch, und bald schlich das Paar zu den vom Laptop gespielten Klängen über das schmierige Parkett.

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Ganz so sah es zwar nicht aus, aber den guten Willen sollte man anerkennen.

FAZIT: Villa und ich konnten dem morbiden Charme dieses Events durchaus etwas abgewinnen. Ein Sinn für Skurrilität gehört zu den uns gemeinsamen Eigenschaften. Ich liebe Jena – auch da, wo es sich durch die Abwesenheit von Professionalität auszeichnet und eben nicht dem perfekten Nachbau einer romantischen deutschen Stadt in Disneyland gleicht. Aber…

Liebe Stadtverwaltung,

wenn es eine ansprechende Broschüre gäbe, die etwas über die Dichterin und über die Geschichte des Hauses verriete, und wenn man dem Parkettboden ein Minimum an Pflege angedeihen ließe, und wenn darüber hinaus die Raumtemperatur auch im Winter wenigstens 20 Grad erreichen würde, … Vielleicht kämen die dadurch entstehenden Kosten ja doch wieder rein.

Ricarda-Huch-Haus
Löbdergraben 7 • 07743 Jena
Telefon: 036 41 – 82 84 86
Mobil: 0170 – 960 9600
eMail: post@ricarda-huch-haus.de