23.09.12

Der Tod des Sommers ist ein farbenprächtiger Herbst

Bunt ist das Programm auf dem Jenaer Altstadtfest 2012 und das Antwerp Gipsy-Ska Orkestra war für mich ein besonders kurzweiliges Hörvergnügen.


Aber in diesen Herbstagen zieht es mich immer magisch in den Wald zum Pilzesuchen. Während aus Oberbayern eine unglaubliche Steinpilzschwemme vermeldet wurde, sah es nach der langen Trockenperiode in den Wäldern unserer Region ziemlich mau aus mit der Frucht des Myzels. Den Regen in den letzten Nächten sahen Phillipp und ich als Initialzündung für das Pilzwachstum in Thüringen und so begaben wir uns auf die Pilzpirsch. Der Zeitpunkt war sicherlich noch etwas früh, jedoch sind wir nach unserem Waldgang fest davon überzeugt, in ca. 48 Stunden beginnt der Aufbruch.
Erste Farben bringen die hübschen Rotweißen ins Spiel, die sich frisch durch den Waldboden schoben. Sie sind immer wieder ein Hingucker und man munkelt: Wo es Fliegenpilze gibt, gibt es auch Steinpilze. Wir sahen in der Nähe auch restlos abgenagte Steinpilze, wahrscheinlich durch Mäuse. Der Saalekreis leidet derzeit unter einer verheerenden Mäuseplage und sie huschten häufig am Waldboden entlang.


Ein breites Spektrum an Farben begegnete uns auch bei den Flechten. Sie sind Lebensgemeinschaften aus Pilzen und Algen.


Ganz stark im Kommen sind die Boviste und Stäublinge. Wenn die Fruchtmasse noch schön weiß und fest ist, kann man sie durchaus seinem Pilzsammelsurium hinzufügen. Die giftigen Kartoffelboviste haben wir nicht mitgenommen, die essbaren Beutel-Stäublinge auch nicht, aber eine Handvoll Flaschen-Stäublinge wanderten ins Körbchen.


Während wir noch über die Volkspoesie deutscher Pilznamen philosophierten, fanden wir zum Beispiel den Gemeinen Afterleistling, auch Falscher Pfifferling genannt. Dieser dem echten Pfifferling sehr ähnlich sehende Vertreter, riecht zwar angenehm, hat aber einen geringen Nährwert. Ins neue Pilzkörbchen wanderten Goldröhrlinge, Sandpilze, ein paar wenige Maronen und Rotfüßchen.


Auf einer Kiefernlichtung stießen wir dann auf unseren Überraschungsfund des Tage: eine größere Fundstelle von Edelreizkern (Lactarius deliciosus), auch Blutreizker genannt. Deliciosus bedeutet im Lateinischen köstlich und der karottenrote Milchaustritt tut dem keinen Abbruch.


So ganz zufrieden mit unserer Ausbeute waren wir dennoch nicht und so kamen uns die zwei Riesenschirmpilze, die wir noch fanden, wir ein Rettungsschirm vor. Bei unserer späteren gemeinsamen Kochsession wurden sie zu vorzüglichen Parasolschnitzeln verarbeitet. Gebackene Schirmpilze müssen wie ein Soufflé sein, von außen knackig und innen ein schön fluffiges Schirmpilzmundgefühl erzeugen.
Der Rest des Pilzallerleis wurde mit Schalotten, Petersilie und zartem Rosmarin gebraten, in Sahne geköchelt und zu Nudeln gereicht.


Es hat mir großen Spaß gemacht wieder einmal mit Phillipp zu kochen!

Villa, die die Thühringer Invasion der Steinpilze erwartet
Wie immer gilt: Doppelklick macht Bilder groß

16.09.12

Oldtimersternfahrt zum Tag des Handwerks in Jena

Zwitscherkollegin @anne234 hatte recht, als sie gestern schrieb: "Mehr geht fast nicht: Altstadtfest, Flohmarkt, Tag des Handwerks, Oldtimer, Thüringer Büchertage..."

Bundesweit wurde am 15. September der Tag des Handwerks gefeiert und  die Innungen der Region hatten auf dem Leutragraben Jena eine Handwerkermeile errichtet. Motto des Tages: "Wir sind Handwerker. Wir können das." Neben dem bunten Bühnenprogramm (Andreas Geffarth und Double Drums aus München habe ich mir angehört) präsentierten sich verschiedene regionale Handwerker.

Für mich, als "alte Autobauerin", war natürlich die Oldtimersternfahrt mit über hundert Oldtimern aus dem Freistaat auf dem Ernst-Abbe-Platz Pflichtprogramm. Die historische Fahrzeugparade zog viele interessierte Schaulustige an, um die Zeugnisse der Mobilität eines ganzen Jahrhunderts zu sehen.


Zum Publikumsliebling wurde das Modell P70 Coupe Baujahr 1959 vom VEB Sachsenring Zwickau mit 22 PS gewählt. Sichtlich stolz erzählte mir Besitzerin Marlene Schlechtiger aus Bad Berka, dies wäre das letzte Modell aus der Serie (von der nur 1500 gebaut wurden) und sie hätten noch den originalen Kaufvertrag. Besonders schönes Detail, die liebevolle Lederausstaffierung des Kofferraumes. Auch den weitgereisten Gästen aus der Dominikanischen Republik gefielen die Veteranen und Sammlerstücke.



Schon lange suche ich genau DIESEN Oldtimer Halbschalenhelm mit Brille. Wer ein Angebot hat, immer her damit.


Der interessanteste Aussteller an diesem Nachmittag war für mich Wolfgang Höhne aus Jena und sein Sport-Cabrio Goliath-Pionier Baujahr 1933. Das auf drei Rädern gebaute Modell bestach durch seine Schlichtheit: ein Einzylindermotor 5,5 PS, Dreiganggetriebe und schon eine Blinkeranlage statt Winker. Allerdings sei der Motor müde, meinte Höhne, aber im nächsten Jahr wolle er daran bauen und er hoffe, dann schneller als 30 Km/h fahren zu können und damit auch für den öffentlichen Straßenverkehr zugelassen zu werden. Chassis und Motor waren noch original, die Karosse hat der Hobbybastler nach besten Wissen und Gewissen nach Fotos aus Holz und Kunstleder nachgebaut. Lose organisiert sei er mit seinem alten Klassiker bei einem Jenaer Oldtimer-Club.


So, Phillipp, ich habe mir genügend Anregungen geholt, um die Evolution Seifenkiste voran zu treiben. Bald werde ich hier unsere Fortschritte zeigen und über meine ersten Schweißversuche an der Achsschenkellenkung berichten.

Villa, im Autobaufieber

15.09.12

Hundert Taschen

"Wenn man viel hineinzustecken hat, so hat ein Tag hundert Taschen" lautet ein Zitat von Friedrich Nietzsche und meine Taschen sind prall gefüllt.
Die letzten Konzertbilder der Kulturarena wollte ich noch zeigen. Die Zeit des Festivalfiebers vor dem Theaterhaus war für mich Kraftakt und Jungbrunnen zugleich. 68.500 Besucher begaben sich auf diese musikalische Sommer-Entdeckungsreise 2012 in Jena und erfreuten sich an Live-Musik.

Heimvorteil hatten die Jena-Herren von "Feindrehstar", die feinste Clubmusik unter die tanzwütige Menge brachten. Gemeinsam mit dem Genfer DJ Kadebostan und seiner National Fanfare of Kadebostany übertrugen sie trotz Regen die Spielfreude eins zu eins aufs Publikum. Ein großer Abend!



Sein bislang am schnellsten ausverkauftes Konzert sei es gewesen, erklärte Tim Bendzko den 3000 Besuchern und natürlich wollte er "Nur noch kurz Jena retten". Das Tim Bendzko-Konzert war eine fröhliche Familiensause. Nicht so ganz mein Musikgeschmack, aber ich ließ mich von der munteren Bühnenshow und den begeisterten Fans anstecken.


Eine der hundert Taschen habe ich gestern sehr gerne gefüllt mit dem Besuch der aktuellen Ausstellung in der Kunstsammlung im Stadtmuseum. Die wunderbare Ausstellung des russischen Malers Alexej von Jawlensky, der mit seinem expressionistischen Stil den Impressionismus ablöste, ist schon vor hundert Jahren vom Jenaer Kunstverein gezeigt worden. 1912 stieß Jawlensky mit seinen "Köpfen" bei den Jenaern auf Begeisterung. Er schloss sich der Arbeitsgemeinschaft "Blauer Reiter" an und auch von seinen Weggenossen Klee, Feininger und Kandinsky sind einige Bilder in der Ausstellung.


Wer sich musikalisch die Taschen vollhauen möchte, hat beim Altstadtfest Jena 2012 eine große Auswahl. Gestern nach dem traditionellen Turmblasen und Bieranstich eröffneten fast hundert Jahre Bandgeschichte den musikalischen Reigen. Mit "Modern Soul Band" und "Electra" standen zwei DDR-Klassikrockbands auf der Marktbühne, die bis heute großartige Konzerte geben können. Als gegen 23.00 Uhr "Tritt ein in den Dom" zelebriert wurde, Bernd Aust mit wunderbaren Querflötensolos glänzte, waren die gestandenen Dresdner Jenas Markthelden.


Ebenfalls aus Dresden kommt die Band "Letzte Instanz", die mit Rock im Wave-Gothic-Stil am Sonntag auf der Bühne stehen wird. Mein Favorit ist am Mittwoch, 19.September, zu hören, die Musiker aus dem kulturellen, belgischen Schmelztiegel Antwerpen, das Antwerp Gipsy-Ska Orkester.

Villa, die sich aufmacht, die Ankunft der über hundert Oldtimer aus Thüringen auf dem Ernst-Abbe-Platz zu besichtigen.

03.09.12

Bis in die Puppen

 Von Cuentacuentos

Bis in die Puppen (1)

Der Begriff Zitadelle ist dem italienischen cittadella (Städtchen) entlehnt und bezeichnet eine in sich abgeschlossene Festung, die in dem Fall, dass eine Stadt von feindlichen Truppen erstürmt wurde, der Garnison als Rückzugsort diente. Nun wird zwar Berlin nicht von Feinden erstürmt, sondern nur von Touristen, aber auch dieser Ansturm lässt einen Rückzug manchmal wünschenswert erscheinen, und so begaben wir uns am Samstag in die Zitadelle Spandau.
Sie gilt als eine der am besten erhaltenen Festungen der Hochrenaissance in Europa und zählt mit allem Recht zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt, bleibt vom Massentourismus jedoch ebenso verschont wie vom Verkehrslärm der stark befahrenen Straße Am Juliusturm. Kaum hatten wir die Zugbrücke überquert und das Torhaus durchschritten, umgab uns ein geradezu himmlischer Frieden. Eine Gruppe fröhlich zechender Italiener im Biergarten der Zitadellen-Schänke und eine nicht minder fröhliche Männerriege, der nach dem Besuch der Exerzierhalle der Sinn nach ein wenig Exerzieren stand, tat dem keinen  Abbruch. Davon abgesehen trafen wir auf unserem Erkundungsgang vorbei zwischen Zeughaus, Kasernen und den Italienischen Höfen, dann die Treppen hinauf, um von einer der Bastionen aufs Wasser hinaus zu schauen, nur vereinzelt andere Besucher. Wir fanden den kleinen versteckten Hafen, wo eine Barkasse vertäut war. Im Fledermauskeller tappten wir durch dunkle Gewölbe, in denen wir einige der von der Natur mit Radar ausgestatteten Fledertiere hinter Glasscheiben wie Schatten hin und her huschen sahen. Tatsächlich haben in den Kasematten der Zitadelle über 10.000 Fledermäuse ihr Winterquartier.  Mit den Mitarbeitern des Berliner Artenschutz Teams BAT e.V. führten wir ein interessantes Gespräch über die Segler der Nacht aber auch über die verlockende Möglichkeit, mit der Barkasse eine Fahrt auf dem Zitadellengraben, verbunden mit einer Fledermausführung nach Absprache zu buchen.


Die wohl größte „Personengruppe", der wir an diesem Nachmittag in der Zitadelle begegneten, waren die Statuen, die einst die von Kaiser Wilhelm II. in Auftrag gegebene Siegesallee im Tiergarten säumten: Marmordenkmäler der Markgrafen und Kurfürsten Brandenburgs und Könige Preußens. Der Boulevard, der den Machtanspruch des Kaiserreichs symbolisierte, war bereits kurz nach seiner Fertigstellung umstritten, und erhielt von den Berlinern den Namen „Puppenallee“. Weil damals wie heute die Umgebung der Siegessäule Ort und Ziel festlicher Veranstaltungen bis spät in den Abend hinein war, entstand der Ausdruck „bis in die Puppen“ feiern, tanzen… aber auch schlafen. Seit Mai 2009 werden die Figuren im Hof der Zitadelle restauriert und sollen 2014 als Bestandteil der neuen Dauerausstellung enthüllt werden.
Auch jetzt schon kann in der Zitadelle außer den Baulichkeiten viel Historisches aber auch zeitgenössische Kunst angeschaut werden. Neben dem im Zeughaus untergebrachten Stadtgeschichtlichen Museum Spandau gibt es Wechselausstellungen. Bis zum 2. September konnte man in der Bastion Kronprinz die Ausstellung „HEUREKA“ mit Gemälden und Airbrush-Arbeiten von Christian Hahn
sehen, in Kombination mit plastischen Objekten und Fotografien von JudithWalgenbach.


Beiden Künstlern gemeinsam ist die teils heitere, teils beunruhigende Verbindung von Kunst und Wissenschaft, Natur und Zivilisation unter Einbeziehung kunstgeschichtlicher Reminiszenzen sowie der veränderten Sehgewohnheiten in einer immer digitalisierteren Welt. Gleich nebenan werden in der KUNSTBASTION (Jugendkunstschule Spandau) aber auch die Arbeitsergebnisse aus den zahlreichen Werkstätten für Kinder und Jugendliche gezeigt.
Darüber hinaus wird die Zitadelle regelmäßig zum Spielort für Konzerte, Theateraufführungen und Feste – siehe Programm-Kalender.

 

Bis in die Puppen (2)

Das Amphitheater Hexenkessel im Monbijoupark gegenüber dem Bode-Museum bietet ein besonders gutes Beispiel dafür, wie Kunst den städtischen Raum erobern und positiv verändern kann. 1994 hatte die Sache ihren Anfang genommen. Im Hinterhof eines besetzten Hauses im Prenzlauer Berg gründeten damals ein paar leidenschaftliche Theaterleute das Hexenkessel Hoftheater, dem der Gedanke zugrunde lag, mit wenigen Darstellern und einem Minimum an Aufwand klassisches Theater aufzuführen - nah am Ursprung des elisabethanischen Lustspiels und fern von Trivialität. 1999 zog das Theater in den verwilderten Monbijoupark um, zu jener Zeit kulturelles Ödland. Erst zur Saison 2009 wurde zum das Amphitheater aus Holz nach einem Vorbild aus der italienischen Renaissance errichtet, das in diesem Jahr zum vierten Mal wiederaufgebaut wurde. Die15 Tonnen schwere und dreistöckige Treppenanlage mit 200 überdachten Sitzplätzen ist eine ideale Spielstätte für volksnahe Klassiker. Mehr Spaß kann Shakespeare nicht machen, und wenn Sebastian und Junker Bleichwang sich für ihr Duell Fahrradhelme aus dem Publikum ausleihen, so hat dies wenig mit zeitgenössischer Inszenierung, sehr viel aber mit ansteckender Spielfreude zu tun. Ob zu spät kommender Theaterbesucher oder Zwischenruf, alles wurde eingebaut ins Spiel, und doch blieb Shakespeare Shakespeare und sich selber in dieser Form übers Grab hinaus treu. Jan Zimmermanns Inszenierung von „Was ihr wollt“ und die Leistung der Schauspieler hatten sich den anhaltenden und herzlichen Applaus am Ende der Aufführung verdient. Es war nach Mitternacht. Auf dem Tanzboden am Ufer der Spree drehten sich noch immer die Paare unter Lichterketten… „bis in die Puppen“.

Danke, liebe Chris, für die schöne Zusammenfassung dieser Programmpunkte meines Berlinaufenthaltes. Wir hatten ja noch viele andere schöne Unternehmungen, aber die Spandauer Zitadelle und die Shakespeare-Aufführung im Theater Hexenkessel waren wirklich bemerkenswert.
Berlin ist immer eine Reise wert, besonders gemeinsam mit guten Freunden.

Villa, die heute nicht bis in die Puppen tanzt.