19.08.11

Hexenkessel Kulturarena Jena

Den größten Live-Wahnsinn und die durchgedrehteste Bühnenshow erlebte die 20. Kulturarena mit den Musik-Vagabunden "Gogol Bordello" aus New York. Die Zigeunerpunker verwandelten die Arenabesucher in eine tobende Masse.


Jeglicher musikalischen Schubladisierung entzogen, wohl einer Mischung aus Ska, Metal und Balkan-Gypsy-Punk hetzte uns der Entertainer par excellence Eugene Hütz wie eine Wildsau durch das Programm. 2800 Besucher (mit Hang zum Exzess) bildeten Speed-Ringelreihen und flippten beim Veitstanz aus. Es war wilde Raserei!



Der Ukariner Eugene Hütz wurde mit seiner Familie 1986 aus dem Reaktorgebiet Tschernobyl evakuiert und kam über Umwege Mitte der 90er Jahre nach New York. Seine Vorfahren waren Zigeuner und die Musik hat auch die Ausgelassenheit des fahrenden Volkes übernommen. Von einer kleinen bulgarischen Bar in China Town aus begann er die New Yorker Szene aufzumischen. Inzwischen touren er und seine Band durch ganz Amerika und Europa. Mit viel Akkordeon und dem wilden Geiger (Yuri Lemeshev) sowie Gitarren und Perkussion entfesselte die neunköpfige internationale Musikerband uns im Dauerbeschuss. Fast jegliche Form des Applauses mit Glas in der Hand war unmöglich und ich war froh, dass die ausgegebenen Plastegläser größeren Scherbenbruch verhinderten.



Ganz anders und dennoch auch kosmopolitisch gestaltete sich das gestrige Asa-Konzert. Es war wunderbare Musik zum Chillen, genießen und sich treiben lassen. Die Franco-Nigerianerin brachte den Groove in die Arena, sang mit dunkler, schmeichelnder Stimme mal Soul, mal Reggae, mal afrikanische Rhythmen in ihrer Heimatsprache Yoruba. Sie spielte Trompete und Gitarre mit den Bandkollegen, immer dabei ihre Stimme souverän zur Wirkung bringend.



Gut gelaunt, mit sexy weichem Hüftschwung, kokettierte sie mit uns und forderte uns auf ihren Namen Asa ("Aaascha") zu sprechen. Asa bedeutet "kleiner Falke" und just in diesem Moment verirrte sich eine kleine Fledermaus vor die Bühne. Bestimmt die kleine ortstreue Hufeisennase (Rhinolophus hipposideros). Villa ist auch ortstreu und freut sich schon jetzt auf eine Neuauflage der Kulturarea 2012.


Nachtragen möchte ich doch die Konzert-Fotos der marokkanischen Balladensängerin Hindi Zahra.



Kleine Kulturarenabegebenheit am Rande: Meine Freundin verlor gestern vor Konzertbeginn einen 50-Euro-Schein und das Unglaubliche geschah. Ein ehrlicher Finder gab den Schein am Kulturarenastand ab und sie bekam ihr Geld zurück. Schon ein tolles Volk, diese Arenagänger.


Villa, die sich in den Sommerurlaub verabschiedet.

14.08.11

Rainald Grebe - Dynamit in der Kulturarena

Aus Jena
Als der Anarcho-Clown Rainald Grebe, als stimmstarker Zampano, voller Ironie sein Lied vom Trend- und Trennungssport "Angeln" sang, war längst klar, er selbst ist der größte Hai im Jenaer Kulturarenabecken. Es hatte was von Dynamitfischerei, das Konzert als musikalischer Zunder. Zündschnur war die wilde Bühnenshow um "unser aller Raini" und sein Orchester der Versöhnung. Das ausverkaufte Arenarund war restlos begeistert. Besonderes Zugeständnis an den Ex-Theaterhäusler und uns Zuschauer war die Ausdehnung der Konzertlänge bis 23.00 Uhr und eine Wiederholung am heutigen Sonntag.





In meiner persönlichen Grebe-Chronologie steht die Nummer mit den Handwerkern beim "Sommernachtstraum" in der Kulturarena 2004. Im März 2007 fand das grandiose Solokonzert bis 2.00 Uhr und sechs Zugaben (Bild unten) im Kassablanca Gleis1 statt und 2008 trat er mit der Kapelle der Versöhnung auf dem Theatervorplatz auf.



Musik und die großartige Bühnenpräsens am Samstag setzte allem die Krone auf und natürlich wurden wir mit der "Thüringenhymne" in die Perseidennacht entlassen. Der Vollmond hat verhindert, dass ich mir etwas wünschen konnte und so erfülle ich mir den Wunsch nach Wiederholung des Spektakels selber und gehe heute zum Wiederholungskonzert.
Villa

12.08.11

Comics aus alten Zeiten

Bildergeschichten und Comic-Tradition waren ein rares Gut zu DDR-Zeiten. Die Nähe zu den trivialen Erzeugnissen der kapitalistischen Widersacher sollte vermieden werden. Dennoch mauserte sich auch in der DDR diese "pennälerhafte Kunstrempelei". Wer von uns las nicht Fix und Foxi, Mosaik und Atze. Eine große Freude bereitete mir heute meine Freundin Cora aus der Schweiz. "Guckt mal, was ich gefunden habe bei meinem Antiquar." lautet die Botschaft für das Überraschungspaket. Enthalten war ein großformatiger Sammelband für den Comicfreund und -sammler. Härzilige Griess und Dank in die Schweiz für diese tolle Fundgrube.

Auch Phillipp hat sich kurzzeitig in dieser "sequenziellen Kunst" versucht. Schade, dass die Zeit nicht ausreichte, dieses Faible zu vertiefen. Ansätze aus Cartoons Comics zu machen waren da. Ich hatte ihm vorgeschlagen, einen Kurs bei Jenas talentiertestem Comic-Künstler Johannes Kretzschmar "Beetlebum" zu belegen, leider ist es nicht dazu gekommen. Aber, was nicht ist kann ja noch werden.


Villa, die heute Comics schmökert.

07.08.11

Raul Paz und Miss Li brachten gute Laune und Tanzfreude in die Kulturarena

Raul Paz




Gegen den fast überwiegenden Frauenpower der diesjährigen Kulturarena setzte der Exil-Kubaner Raul Paz und Band einen würdigen Kontrapunkt. Die beliebten und typischen Buena Vista Social Club-Klänge würzte er mit neuen Stilmitteln - Funk, Pop, Reggae und Hip Hop. Der charmante Kubaner mit enormer Bühnenpräsenz begreift sich als Anstifter zur Veränderung. Sein internationaler Erfolg gibt ihm recht, und auch in der alten Heimat wird er inzwischen begeistert gefeiert. Uns Kulturarenagängern fuhr der absolut tanzbare Karibik-Cocktail sofort in die Beine, wir ließen uns nicht lange bitten und erst ein wahrlich tropischer Regenguss während der letzten Zugabe holte uns in den Alltag zurück.



Miss Li



Die schwedische Pianistin und Sängerin Linda Carlson und ihre auf höchstem Niveau spielenden Musiker fegten wie ein Wirbelsturm durch das Programm, dabei wurde selbst das Bühnenareal mehrmals verlassen, um noch hautnaher am Publikum zu sein. Spielend leicht wechselten sie sich an den Instrumenten ab, bedienten Saxophon, Kontrabass, Trompete, Keyboard und Gitarren und kamen zu herrlich aufbrausenden Beat-Nummern.
Mit ihrem fulminaten, lebensfrohen musikalischen Kaleidoskop verbreiteten sie gute Laune in der Kulturarena und flickten uns einen bunten Teppich aus Blues, Folk, Jazz, Rock und Pop.
Diese Band sich live auf der Bühne entfalten zu sehen war ein Hochgenuss. Ständig zogen die Skandinavier das Tempo an, jedes Lied energiegeladener als das vorige. Mit dem knallbunten Mix bescherten sie uns einen unvergesslichen Arenaauftritt.



P.S. Grüße an meinen verehrten Pestkrause. Sie haben mir, mit kunterbuntem Lolli in der Gusche, Miss Li bereits 2009 ans musikalische Herz gelegt. Ich hoffe, Ihr Seifenblasenwasser blubbert bald wieder.

Villa

Wie immer: Doppelklick macht Bilder groß

01.08.11

Spannende Unterhaltung im Umspannwerk - Imaginata Jena

Für diejenigen, die es nicht wissen, sollte ich vielleicht erst einmal erklären, was ein Umspannwerk ist. In einem Umspannwerk werden unterschiedliche Spannungsebenen innerhalb eines elektrischen Versorgungsnetzes mit Hilfe von Leistungstransformatoren miteinander verbunden. Etwas vereinfacht ausgedrückt: Ein Umspannwerk sorgt u.a. dafür, dass aus der Steckdose in der heimischen Hütte kein Starkstrom fließt. Wird ein Umspannwerk nicht mehr benötigt, weil der Energieversorger andernorts umspannen lässt, verwandelt sich so eine Ansammlung von Transformatoren in eine ziemlich spannungslose Angelegenheit, es sei denn, man macht es, wie sie es in Jena gemacht haben. Hier ist das ehemalige Umspannwerk inzwischen eine Stätte spannender Kultur. Neben Lesungen unter dem Titel „Geistreiches am Donnerstag“, Zirkus, Kindertheater u.v.m. kann man dort von April bis Oktober an den Sonn- und Feiertagen die IMAGINATA besuchen (an Werktagen nur Führungen für Gruppen und Schulklassen) und Stunden mit den rund 100 Experimenten zubringen. Villa, Phillipp und ich waren dort und wurden nicht nur durch optische Täuschung wieder zu Kindern, sondern stürzten uns wirklich mit kindlicher Spielfreude und Entdeckungslust auf alles, was geboten wurde, obwohl „das Schiefe Haus von Jena“ uns schon gleich hinter dem Eingang fast außer Gefecht gesetzt hätte. Dabei hatten wir meinen Besuch in Jena und das gemeinsame Frühstück in der jetzt von Weinlaub fast überwucherten Wagnergasse doch nur mit einem dezenten Gläschen Prosecco gefeiert. Trotzdem rief das Befolgen der auf einem Schild angebrachte Aufforderung: „Geh langsam in Kreis. – Achte auf deine Körperwahrnehmung...“ einen Zustand hervor, der am besten mit „total besoffen“ zu beschreiben ist.


Im Gegensatz zu den unliebsamen Folgen übermäßigen Alkoholkonsums – denn ein Gläschen Prosecco ist schließlich nicht übermäßig – entließ uns das Schiefe Haus aber in eine fröhliche Nüchternheit, sobald wir ihm entkommen waren. Nicht einmal der Blick zur IMAGINATA-Kugel hinauf löste ein Schwindelgefühl aus. Wir wussten: Beschwindeln wollte man uns hier nicht, wohl aber mit Tatsachen verblüffen, z.B. in der begehbaren Lochkamera, in der sich das Bild von draußen, mit einem kaum wahrnehmbaren Lichtstrahl durch ein winziges Loch eindringend, auf dem Kopf stehend auf eine Wand projiziert. Es sind die Anfänge der Fotografie, deren Augenzeuge man hier wird. Aber nicht nur das Sehen, auch das Hören wurde gefordert. Eine riesige Schlauchspirale mit Sprech- und Hörmuschel ließ uns die Schallgeschwindigkeit der eigenen Stimme erleben.


Das ehemalige Umspannwerk bietet eine ideale Kulisse für die physikalischen Experimente, die man hier selbst nachvollziehen kann. So kannte ich das unglaublich schwarze Schwarz, das noch schwärzer ist als Schwarz nur aus einem Douglas-Adams-Roman. Hier durfte ich mich selbst davon überzeugen, dass etwas so schwarz sein kann, dass man nicht mehr zu unterscheiden vermag, ob es sich um einen Körper oder um ein schwarzes Loch handelt. Viel (be-)greifbarer wirkten auf den ersten Blick die Holzkugeln, von denen Villa und Phillipp versuchten, möglichst viele in einem gläsernen Würfel unterzubringen. Das erwies sich als größere Herausforderung, als man zunächst meint. Ebenso wenig hätten wir vorherzusagen vermocht, wie sich ein Pendel bewegt, das an einem anderen Pendel befestigt ist. Mit einer über einer Düse schwebenden Kugel (Wasserball) wird der Bernoulli-Effekt vorgeführt, denn der Luftstrom lässt sich umlenken. Wird der Ball nun abstürzen? Nein, er tut es nicht. Sehr zweifelhaft aber erschien mir, ob ich in einer Reihe unterschiedlich großer Dominosteine auch den letzten und größten, mehrere Kilo schwer, zum Umfallen brächte, wenn ich nur den kleinsten (kleiner als ein normaler Dominostein) umstieß. Und wirklich überrascht war auch Phillipp, dass ein leerer Zylinder eine Schräge schneller hinunter rollte als ein mit Holzkugeln gefüllter, der mit Öl nicht einmal genug Schwung bekam, um das Ende der Bahn zu erreichen, während der mit Wasser alle anderen übertraf.

Dass man Meeresrauschen nicht nur in einer Muschel, sondern auch in einem Lampenschirm hören kann, störte meinen Sinn für Romantik ein bisschen; und waren die Hörspiegel-Ohren, mit denen Villa so fröhlich herumspazierte auch eine Demonstration der Helmholtz-Resonanz? – Ach, es gab ja so unendlich viel zu lernen! Mir schwirrte der Kopf, und das benutze ich jetzt mal als Ausrede dafür, dass ich Phillipps „Geheimbotschaften“, diese großartige Pantomime, die er aufführte, um mir zu zeigen, was er aus verschiedenen Holzklötzern auf seiner Seite der Sichtblende baute, auf meiner Seite nicht 1:1 nachzubauen vermochte.


An diesem Punkt unseres IMAGINATA-Besuchs waren wir längst zu Kindern geworden, erlebten diese herrliche Mischung aus Albernheit und Wissbegierde, so dass es des Riesentisches mit entsprechenden Stühlen kaum bedurft hätte, um uns zu zeigen: Wir waren auch mal klein. Eher an meine Teenager-Disco-Zeit erinnerte mich dann das Schwarzlicht. Himmel, war das damals peinlich, wenn die Mädels plötzlich scheinbar im BH auf der Tanzfläche standen, und den Jungs die pubertären Schuppen wie Schnee auf den Schultern lagen! Gleich nebenan wartete die Plasma-Kugel und verzauberte uns regelrecht. Sie mit den Fingern zu umkreisen machte einfach noch mehr Spaß als an ihr die 1904 von Nikola Tesler erfundene Leuchtstoffröhre zum Leuchten zu bringen.

Die Tuschel-Muschel ließ mich an die Sala de los Secretos der Alhambra denken, denn auch in dieser Muschel kann man, gegen die Wand gekehrt, jemandem an der gegenüberliegenden Seite der Kuppel etwas zuflüstern, was dann wie eine Geisterstimme aus der Wand selbst zu kommen scheint. Und wirklich verblüffend war das Haus der Riesenzwerge. Zwar konnte man sich den Grund für die optische Täuschung erklären, hätte aber niemals mit einem solchen Größenunterschied gerechnet.



Wirklich tolle Fotos hat Villa in dem Teil der Ausstellung gemacht, in dem es um Spiegel und Kaleidoskope geht. Kein Spiegelkabinett auf einem Rummelplatz hat mich je so entzückt und zum Lachen gebracht. Hier wird nichts verzerrt, es sind die Spiegelungen der Spiegelungen, welche die überraschendsten Effekte erzielen. Wer manchmal, um sich weniger allein zu fühlen, in den Spiegel schaut, kann hier in einem dreieckigen Spiegelkabinett regelrecht ins eigene Gedränge kommen oder sich zwischen zwei Spiegeln bis in unendliche Fernen zuwinken. Am schönsten aber sind die Spiegel-Kaleidoskope, durch die man sein Gegenüber betrachten kann. Ich glaube, es ist seit Jahrzehnten das erste Mal, dass ich mir ein Foto von mir am liebsten an die Wand hängen würde. Nein, ich denke, ich entscheide mich doch für ein Triptychon als Erinnerung an diesen fantastischen Tag. Ein Besuch der unterhaltsamen und lehrreichen Ausstellung in dieser interessanten Umgebung ist wirklich jedem zu empfehlen.



Danke, liebe Chris für die schöne Zusammenfassung unseres Imaginata-Besuches. Es war ein toller Tag, der für mich und dem Gatten beim Bergfest der Kulturarena im Volksbad endete.

Arenacomedy: Zum Brüllen komisch (Fil), mit einer guten Dosis rabenschwarzem englischen Humor gesegnet und wie eine Rampensau agierend (Mr. Steve Rawlings) und ein tierischer Auftritt mit reptilem Humor (Puppenspieler Michael Hatzius) ergänzten den perfekten Tag.
Villa