07.06.11

Jenseits der Sehnsucht

Von Cuentacuento

Waren wir „jenseits der Sehnsucht“, als wir uns auf der Terrasse vor der Gastronomie der ACC Galerie Weimar niederließen? Fast. Wenn einem vom Laufen die Füße wehtun, und man durstig ist, hat man eigentlich nur noch zwei Wünsche: Füße hochlegen und etwas Erfrischendes trinken. Aber nicht nur profane Touristenbedürfnisse, sondern auch die Ausstellung „Jenseits der Sehnsucht“ hatten uns hierher gelockt. Zum 16. Mal führt die ACC Galerie Weimar ihr Atelierprogramm durch und zeigt vom 13. Mai – 19. Juni 2011 die Arbeiten der Stipendiaten.

Die Nähe zur Bauhaus-Universität ist überaus passend zu den Gemälden der Argentinierin Leila Tschopp. Seit 2006 hat die Künstlerin verschiedene Projekte entwickelt, die Malerei mit dem realen Raum, Architektur und Szenografie verbinden. Ihr spezielles Interesse gilt Bauwerken aus den 20er- bis 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Ihren Deutschland-Aufenthalt nutzte Leila Tschopp, um die Satellitenstädte Halle-Neustadt und Gera-Lusan zu bereisen und sich auf die Spuren Oskar Schlemmers zu begeben. Es entstanden erste Ideenskizzen. Zu erwarten sind Gemälde und Installationen, in denen sich Vergangenheit und Gegenwart kreuzen, wobei der Blick bewusst nach vorn gerichtet bleibt, die Idee der Moderne als Utopie wieder aufgegriffen wird, um die Gegenwart neu zu durchdenken. Die jetzt gezeigte Installation aus architektonischen Elementen, Leinwänden und Wandgemälden, die den Betrachter in einen fiktionalen Raum versetzen sollen, vermittelt einen ersten Eindruck.

Christoph Ziegler, hatte sich mit der Installation „Utopisches Institut Weimar“ um das Stipendium beworben. Auch sein künstlerisches Interesse geht vom urbanen Raum und dem Spannungsfeld zwischen Mensch und Architektur aus und untersucht das Streben nach Fortschritt und Perfektion im Widerstreit zu den individuellen Bedürfnissen und den aus ihnen entwickelten Überlebensstrategien, die durchaus darin bestehen können, etwas auf die einfachste Funktionalität herunter zu brechen. Und was könnte einfacher sein als ein Institut, das nicht mehr ist, als eine aus rohen Brettern gezimmerte „Gartenlaube“, in der man Fachliteratur ausleihen und arbeiten kann? Mehr beeindruckte uns aber seine Installation „Moebling“ (2010), bestehend aus einem Objekt, einem Video und einer Serie von Fotografien. In „Moebling“ inszeniert sich der Künstler selbst: ein Schattenboxer in seinem ästhetisierten Kampf, in der Auseinandersetzung mit der ihn umgebenden Einrichtung und deren vorgegebener Funktion. Dabei entstehen kritisch-ironische Konstruktionen und Assemblagen. Es geht um die Legitimierung des Körpers als Experimentalorgan. Bei der Verflechtung von Körper und Möbel eröffnen sich Zwischenräume, in denen der Körper zum Experiment wird bei der Suche nach einer wenn auch unbequemen Lösung.

Kathrin Schlegel untersucht in ihren ortsbezogenen Installationen und Interventionen die subtilen Rituale des Zusammenlebens und die Mehrdeutigkeit standardisierter Umgangsformen. Bezogen auf die Weimarer Geschichte und deren Spiegelung im Stadtraum und mit einer deutlichen Reminiszenz an Vanitas-Stillleben arrangierte sie die beiden vermeintlich falschen Schillerschädel in einem Zwiegespräch. Die Künstlerin weist darauf hin, dass es sich hier nicht um die „originalen falschen“ Schädel, sondern um die „falschen falschen“ Schädel handelt, um eine Fiktion von der Fiktion. In Szene gesetzt wird ein endgültiges, nur in der Vorstellungswelt existierendes Zwiegespräch. Ähnlich hintersinnig und doppeldeutig ist die Performance, ausgeführt auf Schloss Plüschow von authentischen Charakteren der Region um die Wismarer Bucht „Ein Seefahrer und ein Kettenraucher spielen eine Kerzenlänge Schiffeversenken“, in der Ausstellung als Videoarbeit zu sehen. Kathrin Schlegel führt den Aberglauben, dass ein Seefahrer stirbt, wenn man eine Zigarette an einer Kerze ansteckt, ad absurdum. Durch die melodramatische Inszenierung des Spieles «Schiffeversenken» auf dem Dachboden des Schlosses Plüschow bekam das Spiel den bedrohlichen Charakter eines Duells auf Leben und Tod, während die Kerze sich verzehrt.

Vorher die Füße hochgelegt und etwas in der Gastronomie „verzehrt“ zu haben, wirkt sich übrigens ermäßigend auf den Eintrittspreis aus. Ich weiß nicht, ob sich vorheriger Ausstellungsbesuch auch ermäßigend auf den Getränkepreis ausgewirkt hätte. Auch Sprichworte wie „Erst die Arbeit, dann…“ sollte man mal ad absurdum führen.

Kleiner Nachtrag: Der Jenaer Politik- und Literaturwissenschaftler Fabian Beigang hält heute (7.6. 2011 20.00 Uhr) zur aktuellen Ausstellung einen kritischen Vortrag über Facebook, Apple, Google & Co. Thema "Neue utopische Räume oder lauter "Große Brüder"?
Villa

5 Kommentare:

  1. Oje, oje... Über den seifenblasenden Ritter habe ich nichts geschrieben. Wie gut, dass die Kollage mehr erklärt als ich hätte erklären können. Mein Favorit bleibt eh der biegsame Herr Ziegler, und beim Anblick des Ritters steckte mir der Aufstieg zur Leuchtenburg wohl schon vorab in den Knochen. Schade dass ich kein Seifenblasen-Röhrchen mitgenommen habe, um dann im Burghof und nebenher rauchend...

    lgc

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  2. Ich hatte ein wenig ein schlechtes Gewissen, dass ich euch bei der Affenhitze die Leuchtenburg hochgeschickt habe.
    Zieglers „Moebling“ hat mich erneut zum Lachen gebracht, obwohl ich die Ausstellung ja schon kannte.

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  3. Nee, nee, die Leuchtenburg war schon ein wirklich guter Tipp, und schließlich gibt es ja dort die Schänke mit mittelalterlicher Bedienung. Ich saß direkt neben dem Folterkäfig und dachte mir: "Es hätte schlimmer kommen können." :-)

    Jetzt haben wir gerade einen milden Pfingsausklang auf der Pfaueninsel hinter uns und können erholt in die kurze Woche starten. Ich hoffe, Du hast trotz der strapaziösen Anreise zur Weinstraße auch etwas Kraft schöpfen können.

    Sehr liebe Grüße
    Chris

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  4. Hey, sehe gerade, dass du Werbung für meinen Vortrag letzte Woche gemacht hast. Dankeschön. :)

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